Einst zählte sie zu den eindrucksvollsten Kirchen von Erfurt. Auf dem Petersberg stehend, überragte sie mit ihren hohen Osttürmen die Stadt und bot wohl auch von fern ein imposantes Bild. Ihre Silhouette soll höher hinaufgeragt haben als die von Dom und Severi auf dem Nachbarberg. Heute steht sie in stark veränderter Gestalt neben einem der ehemaligen preußischen Kasernengebäude inmitten der Zitadelle Petersberg. Das Kloster, dem die Peterskirche dereinst angehörte, ist längst verschwunden und nur noch wenig erinnert an den großen Glanz und die Würde, die einstmals von ihr ausgingen. Halb Sakral-, halb Zweckbau könnte man ihr heutiges Erscheinungsbild nennen. Ihre alten Mauern erzählen von der wechselhaften Geschichte.
„Meine Südseite zeigt dem Betrachter noch am ehesten meine ursprüngliche Form an. Mein Mauerwerk weist auf die romanische Bauweise des 12. Jahrhunderts hin. Hände, die etwas von ihrem Werk verstanden, haben meine Außenmauer zwar schlicht, doch kunstvoll, wie ich finde, gestaltet. Ich bin als Klosterkirche für einen Benediktinerorden erbaut wurden. Man sagt im Stil der Hirsauer Schule. Meine Länge von 75 Metern, die in damaligen Zeiten etwas Besonderes war, scheint heute niemanden mehr zu beeindrucken. Schade eigentlich.
Ich will etwas verraten, was nur noch die wenigsten wissen – Menschen vergessen so furchtbar schnell – ich war einst Austragungsort des denkwürdigsten Reichstages, den Kaiser Barbarossa je gehalten hat. Unter meinem Dach geschah es 1181, dass sein jahrelanger Streit mit dem mächtigsten Herzog des Reiches, nämlich mit Heinrich dem Löwen, sein Ende fand. Der gestenreiche Kniefall des Herzogs zum Zeichen der Unterwerfung wurde im Erfurter Rathaus übrigens im Bilde verewigt.
Südlich von mir am Hang des Petersberges erstreckte sich zu jener Zeit noch ein Weinberg. Die Zitadelle mit ihren steilen Wänden gab es damals noch nicht. Deshalb war es den aufständischen Bauern und Bürgern dereinst auch ein leichtes, als sie 1525 den Berg heraufgezogen kamen. Sie besetzen mich und das Kloster und später verstand ich, sie sahen in meinen Türmen und mir das Sinnbild der Gegenreformation. Dabei war ich für etwas Abwechslung sehr dankbar. Die Aufständischen verbreiteten so eine neue, protestantische Luft. Meine Mönche und der Erzbischof allerdings schienen dagegen allergisch. Denn gegen die Ausbreitung dieser Luft hatten sie die ganze Zeit angekämpft. Dem Erzbischof platzte dann der Kragen, nachdem etwa hundert Jahre später auch der Schwedenkönig, Gustav Adolf bei uns vorbeigeschaut und das Kloster zu reformieren versucht hatte. Der Erzbischof mochte diese Art von Gästen nicht und ließ eine uneinnehmbare Festung rund um das Kloster und mich errichten, die Zitadelle Petersberg.
Irgendwann kamen sie dann doch, die Protestanten, ganz offiziell und im preußischen Gewand. Säkularisierung hieß das Zauberwort. Von da an wurde es richtig aufregend. Der Allgemeinheit wurden meine Türen geöffnet und Gemeindegottesdienste in mir gefeiert. Dann kamen die Franzmänner und der kleine Mann mit dem Dreieckshut. Die tauschten mein Inventar vollkommen aus. Sie verkauften die Orgel, das Chorgestühl und die Glocken und nutzen mich als Vorratslager.
Die Preußen hatte ich nicht ganz verstehen können. Erst waren sie 1806 freiwillig aus- und abgezogen, als dieser Napoleon und seine Männer zu Besuch kamen. Ein paar Jahre später aber, 1813, beschossen sie die Franzmänner, die nun in der Zitadelle weilten, mit Kanonenkugeln. Leider nutzten sie dabei ungefragt und ohne meine Einwilligung meine Türme als Richtpunkt beim Zielen, sodass eine Vielzahl an Kugeln auch mich und das Kloster trafen. Meine Türme und die Klostergebäude waren hin und wurden auch nicht wieder aufgebaut. Aus den Steinen bauten die Preußen dann neue Gebäude, die sie Defensionskaserne nannten. Auch ich erhielt eine völlige Umgestaltung: meine Ostseite erhielt einen neuen Giebel mit mehreren Fensteröffnungen und einer großen Tür in einigen Metern Höhe mit Lastzugvorrichtung außen dran. Das Dach meines Mittelschiffes wurde herabgesetzt und im Inneren errichteten sie eine Holzkonstruktion, die den großen Kirchenraum in zwei Etagen teilte. Somit war ich ein perfektes Speicherhaus für Korn und Mehl.
Mehr als ein Jahrhundert später, die Soldaten waren vom Petersberg längst wieder abgezogen, bot ich Schulkindern Raum für den Sportunterricht. Heute ist die Kunst in meine Mauern zu Hause. Im unteren Bereich findet sich seit 1993 Platz für die Ausstellungen des Erfurter Forums Konkrete Kunst. Das obere Geschoss wird gelegentlich als Veranstaltungsraum vermietet.
Wäre schön, auch Sie kämen mich mal besuchen. Sicher haben auch SIe spannendes zu erzählen."
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Fotos: Tina Romstedt