Rund um den Angerbrunnen sind hohe Bürgerhäuser aus dem 19. Jahrhundert versammelt. Daneben befindet sich eines, das dem Betrachter sofort ins Auge sticht, weil es aus der Reihe tanzt. Nicht nur, dass ihm jegliches Schaufenster fehlt und es sich daher aus der Reihe der Geschäfts-und Ladenmeile herausnimmt, es fällt auch wegen seiner langen weißen jugendstillosen Fassade aus dem Rahmen. Es scheint aus einer anderen Zeit – nein es scheint nicht nur. Zumindest die linke Seite des Gebäudes soll in Teilen bis etwa 1300 zurückreichen.
Dies Bauwerk, das heute allgemein als das Haus Dacheröden bezeichnet wird, ist äußerlich im Stile der Renaissance gekleidet. Das Loch in der Fassade neben dem Eingangsportal zeugt noch von seiner Nutzung als Biereigenhof. Das "Verrechtsbuch" der Stadt belegt, dass bereits 1530 die Familie Krautheym hier Bier brauen und verkaufen durfte.
Ein Blick hinauf zum Dach, das mit Gaubenfenstern geschmückt ist, verrät dem Betrachter, dass das aus Dacheröden früher auch als Waidspeicher gedient haben muss. Waidhändler Heinrich Vasold ist Mitte des 16. Jahrhunderts als Besitzer des Anwesens belegt. Ursprünglich waren es zwei Häuser – links das „Haus zum Schiffchen" und rechts das „Haus zum güldenen Hecht”. Unter Vasold erhielt das „Schiffchen” 1557 sein bis heute erhaltenes Renaissanceportal. Um etwa 1600, vielleicht schon unter den Nachfahren Vasolds wurden beide Häuser zusammengelegt und aufgestockt. Das dabei hinzugefügte Erkertürmchen markiert die Grenze beider Gebäude.
Nach dem 30jährigen Krieg und dem Rückgang des Waidhandels wurde ab 1664 der repräsentative Bau an Beamte der kurmainzischen Statthalterei vermietet. In diese Zeit fällt der barocke Innenausbau und die Umgestaltung der Fenster über dem Hochportal im Stile des Rokoko.
Der bedeutendste Bewohner war wohl Karl Friedrich von Dacheröden. Er lebte hier mit seiner Familie von 1771 bis 1809(?). Von Dacheröden fühlte sich der Kultur und dem Geist der Aufklärung verpflichtet. Er war Freund und Vertrauter des Erfurter Statthalters Karl Theodor von Dalberg und Mitglied (später gar Präsident) der kurmainzischen Akademie nützlicher Wissenschaften.
Während das Gebäude heute unter dem Namen Dacherödsches Haus fortlebt, war es bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts als das „Lucius Haus" bekannt. Die Familie Lucius war eine wohlhabende, politisch einflussreiche und sozial engagiere Fabrikanten- und Händlerfamilie. Sebastian Lucius erwarb 1815 die rechte und 1833 auch die linke Haushälfte. Er vereinigte beide Teile wieder und verlegte das väterliche Textilunternehmen „Joh. Anton Lucius" von der Langen Brücke hierher.
Seine Nachfahren waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg im Besitz des Doppelhauses. Auch in dieser Zeit waren im Haus Persönlichkeiten zu Gast, beispielsweise Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke, der während des Kaiser-Manövers 1883 hier einquartiert war.
Ab 1951 war der „Thüringer Volksverlag" und ab 1986 der „Kulturbund Erfurt" hier ansässig. Heute wird das Haus Dacheröden durch die Kulturdirektion der Stadt Erfurt geführt und bietet hier Raum für diverse kulturelle Veranstaltungen und Projekte.
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Fotos: Winfried Neubert