Erfurt-Lese

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Gefangen im Netz der Dunkelmänner

Berndt Seite, Annemarie Seite und Sibylle Seite

Berndt Seite und seine Familie möchten sich die »Stasi« von der Seele schreiben, um nicht ein Leben lang mit der DDR-Diktatur konfrontiert zu bleiben. Der Text soll einen Beitrag zur Aufarbeitung der SED-Diktatur leisten. 

Goswin Krackrügge

Anette Huber-Kemmesies

Goswin Krackrügge, der 1804 in Westfalen geboren wurde, kam Anfang der 1840er Jahre mit seiner Familie nach Erfurt, wo er zunächst ein Fabrikgeschäft für Seilerwaren eröffnete. Als er 1845 das Bürgerrecht zugesprochen bekam, nahm er sich des bereits bestehenden „Bürger-Hülfs-Vereins" (seit 1836) an, reformierte diesen und verhalf ihm zu neuem Aufschwung. Dies war vonnöten, denn der bei seiner Gründung aus ca. 300 Mitgliedern bestehende Verein „sich gegenseitig zur Stunde der Noth helfend zu unterstützen" war aufgrund von Zerwürfnissen und Intrigen auf 22 geschrumpft. Mit Krackrügge kam ein neuer frischer Wind in Erfurts Vereinigung. Durch sein Engagement, welches „die Beförderung des [ä]chten Bürgertums und des wahren Patriotismus, die Vereinigung zu Bürger-Versammlungen" und damit den Kampf gegen „den Egoismus, den Absonderungsgeist nach Rang und Stand, den stolzen Prätentionen und der Willkür Einzelner" sowie gegen geistlose Bürokraten betraf, erfreute sich der Verein bald einer Zahl von ungefähr 500 Mitgliedern.


Im „Erfurter Stadt- und Landboten" veröffentlichte Goswin Krackrügge mehrere politische Appelle, die durch ihre Wortgewandtheit, Freimütigkeit und Kraft den sonst eher harmlosen und einfachen Inhalten der Zeitungen entgegenstanden. Bald schon sahen die Bürokraten eine Gefahr in dem Verbreiter revolutionärer Schriften und unterzogen seine Artikel einer strengen Zensur. So sah sich Krackrügge gezwungen, bei dem „Ober-Zensur-Kollegium" in Berlin Klage gegen die „Verstümmelung oder Druckverweigerung" einzureichen. Die Entscheidung zugunsten des Klägers war oft mit größeren Summen Geldes verbunden, doch setzte sich Krackrügge des Öfteren durch. Die „Lokal-Zensur" reagierte darauf nicht selten mit einer öffentlichen Denunziation seiner Person.

Bei der schwerwiegendsten, die großen Einfluss auf seine weitere Laufbahn nehmen sollte, handelte es sich um die Rettung eines Menschenlebens. Am 27.11.1845 kam dem Menschenrechtler Krackrügge bei einer einberufenen Bürgerversammlung zu Ohren, dass im Hause des Geheimen Regierungsrates a. D. von Ehrenberg Gräuliches vor sich ginge, denn das Ehepaar von Ehrenberg hielte ihre totgesagte Tochter seit mehr als 10 Jahren (8 davon in Erfurt) in einem kleinen Zimmer gefangen. Krackrügge, entsetzt von dieser Nachricht über so viel Unmenschlichkeit und wohl auch über die Ähnlichkeit zu dem Kaspar-Hauser-Fall, stellte daraufhin mehrere Anzeigen in den Landboten und bat um Aufklärung dieses Falles. Immer mehr Zeugen meldeten sich, darunter der Hauswirt der von Ehrenbergs, der beobachtet haben will, wie die Tochter, Pauline von Ehrenberg, heimlich des Nachts in das Haus geschmuggelt wurde.

Doch erst nach drei Eingaben reagierte die örtliche Polizei und untersuchte die Anschuldigungen gegen den Adeligen. Im Hause von Ehrenberg fanden sie in einem kleinen abgeschlossenen Raum die unterernährte, kranke Pauline von Ehrenberg. In ihrer späteren Rechtfertigung äußerte die Stiefmutter, sie hätte ihr Kind auf dessen eigenen Wunsch eingesperrt, da es sich bei ihrer Krankheit um eine ansteckende handle. Das Mädchen wurde daraufhin in ein Sanatorium überführt. Dies aber glich, wie Krackrügge feststellte, ebenfalls einem Gefängnis, und so organisierte er eine Privatwohnung für die Kranke, sowie gerechte ärztliche und seelische Versorgung. Pauline von Ehrenberg sollte daraufhin ganz genesen.

Von Ehrenberg aber machte öffentlich bekannt, dass er nicht nur die Sache selbst untersuchen, sondern auch gegen Krackrügge wegen öffentlicher Beleidigung ermitteln würde. Letzter erfreute sich aufgrund der Aufdeckung dieser unbeschreiblichen Tat größter Beliebtheit bei den Bürgern der Stadt. Bei den Wahlen zu den Stadtabgeordneten am 1.3.1846 erhielt Krackrügge eine große Mehrheit. Doch legte von Ehrenberg Widerspruch ein und erwirkte, dass Krackrügge wegen des laufenden Untersuchungsverfahrens das Amt vorerst nicht antreten durfte.

Und nicht nur das: im Fall von Ehrenberg wurde Krackrügge schließlich zu vier Monaten Zuchthaus auf der Leuchtenburg verurteilt. Auch die Bitte um Gnade bei Friedrich Wilhelm IV. half wenig: Denn dieser beschloss, Krackrügge nur zu begnadigen, wenn von Ehrenberg zustimmen würde.

In eben dieser Zeit brach in Krackrügges Geschäfts- und Wohnhaus ein großes Feuer aus, durch das er sein gesamtes Hab und Gut verlor. Ob dieses willkürlich durch Anhänger des Adels gelegt wurde, oder ob es sich dabei um einen Unfall handelte, konnte nicht geklärt werden. Fakt ist, dass Krackrügge nicht einmal den Gesamtwert von der Versicherung bekam, was wohl auf Beamtenwillkür zurückzuführen war. Doch hatte er durch seine Wohltätigkeit so viele Anhänger, dass diese Geld sammelten, um den Geschundenen und seine Familie zu unterstützen.

Nach seiner Haftentlassung ging Krackrügge mit seiner Familie zurück in seine Heimat Westfalen. Auch von Ehrenberg verließ Erfurt und wurde geächtet.


(Quelle: F. Schrader: Goswin Krackrügge und sein Prozeß, Luden Jena 1848)

 

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