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Der Traum des Mauerseglers

Berndt Seites Gedichte schätzen die Kraft des Moments. Sie tauchen in ihn ein, entdecken Höhen und Abgründe und legen dabei Vers für Vers frei, wie wir durch das Leben gehen, wer wir sein wollen und wer wir – manchmal wider Willen – dabei werden.

Es sind Gedichte, die träumen, schimpfen und scherzen, sie führen uns von leisen Beobachtungen hin zu den ersten Fragen, die damit ringen, womöglich zu den letzten zu gehören.

Graf von Gleichen mit den zwei Frauen

Graf von Gleichen mit den zwei Frauen

Im Dom zu Erfurt befindet sich an der Südwand ein Grabstein, auf dem Graf Ernst IV. von Gleichen mit zwei Frauen dargestellt ist, von denen die zu seiner Linken eine Fürstenkrone trägt.
Die Grafen von Gleichen, ursprünglich ein mächtiges und reiches Geschlecht in Thüringen, waren kaiserliche Vögte in Erfurt; ihr Wappentier war ein Löwe, wie er am Lauentor noch zu sehen ist. Sie waren auch Schutzvögte des Petersklosters und besaßen einen großen Hof in der Grafengasse.

Der Grabstein aber, der früher im Peterskloster stand, hat die Sage vom zweibeweibten Grafen von Gleichen veranlasst. Der Volksmund erzählte:

Der Grafe von Gleichen ward im Jahre 1227 von seinem Herren, dem Landgrafen Ludwig von Thüringen, samt anderen Rittern und edlen Herren zu einem Kreuzzuge gegen die Ungläubigen aufgerufen. Er nahm Abschied von Weib und Kind und zog mit dem großen Heere gegen die Sarazenen. In einem Reiterkampfe wurde er mit seinem Diener in Gefangenschaft genommen und in die Knechtschaft geführt.

Da er dort aus Scham über sein Unglück seinen Stand verbarg, musste er gleich den übrigen Sklaven in den Gärten des Sultans die schwersten Arbeiten tun. Wegen seiner besonderen Geschicklichkeit und seiner stattlichen Gestalt fiel er aber der schönen Tochter des Sultans in die Augen, so dass ihr Herz sich in Liebe ihm zuwandte. Als sie von seinem Diener erfuhr, wer er sei, versprach sie, ihm zur Flucht zu verhelfen, wenn er sie zur Ehe nehmen wollte. Der Graf stellte ihr vor, dass er Weib und Kind zu Hause habe; aber die Sultanstochter kehrte sich nicht daran, und da der Graf die Freiheit über alles liebte, willigte er in den Wunsch der Sarazenin; denn er hoffte, des Papstes und seiner ersten Gemahlin Einwilligung zu erwirken.

Und so geschah es, dass die beiden unter vielen Gefahren über das Meer entflohen und nach Rom zum Papste zogen. Dort ließ sich die Türkin taufen, und der Papst segnete ihren Ehebund mit dem Grafen. Nun reisten die beiden nach Thüringen. Als sie sich der Gleichenburg von Wandersleben her nahten, ließ der Graf die Türkin in dem Hofe, der am Fuße der Burg im Tale liegt, und ritt allein den Berg hinan, besorgt, wie seine Gräfin ihn und die Fremde wohl aufnehmen werde. Die empfing ihn in fröhlicher Herzlichkeit und merkte gleich, dass etwas ihn bedrücke. Da sagte er ihr, wie es um ihn bestellt sei, dass er seine Freiheit und sein Leben der Sultanstochter zu verdanken habe und dass er es nicht habe verantworten können, jene, die ihr Leben für ihn aufs Spiel gesetzt, in fremden Landen zurückzulassen.

Da fügte sich die Gräfin in ihr Schicksal und stieg mit ihrem Gemahl den hinab in den Hof, wo die Sarazenin bange verweilte. Aber die Bangigkeit ward beim Zusammentreffend der drei in eitel Freude verwandelt; und seitdem heißt der Ort am Fuße der Gleichenburg Freudental.

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Überlieferungen gefunden in:

Schulrat Dr. Kürsten/ Rektor Leineweber (Hrsg.): O du Heimatflur. Eine Heimatkunde der Stadt Erfurt in Einzelschriften. Heft 1. Erfurter Sagen, Kenser´sche Buchhandlung Erfurt (ca. 1940)

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