Erfurt-Lese

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Kurze und liebevoll illustrierte Geschichten von den Zauberern Pumphut und Krabat sowie von den zwergenhaften Lutkis.

Erbsensoldaten
von Florian Russi

Von einer Mönchskutte und einer Kiste mit Kinderhänden

Von einer Mönchskutte und einer Kiste mit Kinderhänden

Die hier erwähnte Mönchskutte wirft wohl einige Fragen auf. Denn sie soll dem vermeintlichen Brandstifter, dem Mönch Theodorius Becker gehört haben. Die Sage Vom Steinkreuz im Steigerwald erzählt schon von dem großen Brand im Jahre 1472 und das Aufgreifen des vermeintlichen Übeltäters. Der Mönch soll an der Stelle, an der sich im Steiger das Kreuz befindet, auf einem Scheiterhaufen verbrannt worden sein. Gericht wurde allerdings vor dem Erfurter Rathaus gehalten, wo man ihm Kutte als Zeichen seiner Degradierung entriss und diese in eben jene Kiste einschloss.

Die angeblich gefundenen Kinderhände sollen ebenfalls Zeugnisse von Straftaten der Kinder an ihren Eltern sein. Das Abschlagen von Händen bei z. B. Diebstahl ist uns heute eher aus den muslimischen Gebräuchen bekannt. Doch auch im christlichen Mittelalter kam neben dem Brandmarken das Abschlagen von Gliedmaßen, getreu dem biblischen Gesetzt „Auge und Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß" auf. Diese Methode wird als „spiegelnde Strafe" bezeichnet. Die Symbolik solcher Strafen steckt in den Straftaten selbst, denn jene, die mit Mund begangen wurden, hatte das herausschneiden der Zunge zur Folge und solche, die mit den Händen begangen wurden, eben das Abschlagen dieser. Hieraus kann geschlossen werden, dass jene Kinder ihre Eltern bestohlen oder gar geschlagen haben und durch das Abschlagen der Hände zeitlebens gekennzeichnet wurden.

Was es allerdings mit der angeblich im Dom gefundenen Frauenhand auf sich hat, kann nicht gesagt werden. Lediglich die spanische Inschrift auf der Kapsel, die die Hand gehalten haben soll, kann sinngemäß mit „Das Beste der Besten" übersetzt werden.

Annette Huber-Kemmesies

„Als man im Jahre 1830 den ältesten Theil des vormaligen Rat[h]hauses, in welchem unter Anderem der große Rat[h]haussaal war, wegen Baufälligkeit abtragen musste, fand sich im Dachstuhl des kleinen T[h]urmes eine sehr schadhafte Mönchskutte und eine Kiste mit vertrockneten Kinderhänden. Die Sage bezeichnete das Kleidungsstück als die Kutte des Mönches Theodorius Burghardt (Becker), der 1472 die Stadt Erfurt durch die obenerwähnte Brandstiftung verheert hatte, und welche ihm auf einem Schaugerüste vor dem Rat[h]hause samt dem priesterlichen Ornate bei seiner Degradation abgerissen wurde. Die Weihen nahmen ihm drei hierzu eigens nach Erfurt berufene Bischhöfe. Auf Bildern des alten Rat[h]hauses sieht man noch unter dem erwähnten T[h]ürmchen ein kleines gothisches Pförtchen, durch welches der Mönch vom großen Rat[h]haussaale auf die Bühne geführt wurde.

Von der Kiste mit den Kinderhänden erzählt der Volksmund, daß man denjenigen Kindern, die sich an ihren Eltern t[h]ätlich vergriffen hätten, vor Alters die Hände abzuhauen pflegte. Hier, wie anderswo war im Volksmund der Glaube verbreitet, daß solchen ungerat[h]enen Kindern die Hand aus dem Grabe wachse und es fehlt nicht an Fällen, in denen man die aus dem Grabe gewachsenen Hände mit Inschriften versehen zur Warnung für alle Kinder an öffentlichen Orten aufgehängt findet, so z. B. in der Sakristei der Petri Paulikirche zu Stettin zwei Hände und eine in der Kirche von Redensleben, einem Dorfe bei Seehausen. In der Registratur des hiesigen alten Rat[h]hauses zeigte man vordem eine Schachtel mit einer mumienhaft vertrockneten Kinderhand, knapp an der Wurzel abgehauen und von ganz dunkelbrauner Farbe. Eine der wundersamen Reliquie beigefügte Schrift vom Jahre 1583 bestätigt in der T[h]at, daß die vorliegende Hand einem bösen Sohne, der sich an seinem Vater vergriffen hatte, abgeschlagen worden war, ob sie aber aus dem Grabe gewachsen, davon schweigt die Nachricht.

Noch sei einer merkwürdigen Hand im Dom gedacht. Es ist eine schöne, zi[m]mtfarbige Frauenhand in dichter Silberdrahtumhüllung, zwar ganz und gar getrocknet, aber dennoch weich und geschmeidig anzufühlen, soweit das Drahtgeflecht, welches sie umgibt, einer Untersuchung zulässt. Eine in Lederpressung ausgeführten Kapsel umschließt die merkwürdige Hand. Sie ist in Form eines Tierkopfes ausgeführt und trägt die altspanische Inschrift Ymas buena de la mejor. Niemand weiß, von wem die Hand herrührt und wie sie in den Dom kam."

 

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Quelle: Heinrich Kruspe: Sagenbuch der Stadt Erfurt, Gesamtausgabe von 1877

Vorschaubild: Hjördis Barth

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