Der Humanist, Pädagoge und Dichter Jacob Micyllus, hieß eigentlich Moltzer und wurde 1503 in Straßburg geboren. In der Zeit von 1518–1522 studierte er an der Erfurter Universität. Zu dieser Zeit stand die Universität zu Erfurt in großer Blüte und hatte einen außerordentlichen Ruf.
Micyllus, der nach seinem Studium an der hiesigen Universität erst nach Wittenberg und später nach Frankfurt am Main und Heidelberg zog, um dort zu lehren, sprach wohl niemals so liebevoll und sehnsüchtig von einer Stadt, wie von Erfurt. In seinem „Reisegedicht" lobt er die Gast-Freundlichkeit der Menschen, den Abwechslungsreichtum der Stadt und seiner Umgebung: Die Gera, die sich ihren Weg durch Erfurt bahnt, die „laubigen Höhen und Kühle des Waldes", sowie die vielfältige Agrarwirtschaft von Getreide und Wein.
Was ihm aber am meisten am Herzen lag, war seiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, an der Erfurter Hierana studiert haben zu dürfen. Zwar widmet er den „geistigen Gütern" nur fünf von insgesamt 22 Versen, doch sprechen diese wenigen Zeilen eine Sprache der höchsten Achtung und Ehrerbietung und klingen schon fast ein wenig wehmütig, wenn man bedenkt, dass Micyllus dieses Gedicht erst vier Jahr nach seinem Weggang verfasste.
Anette Huber-Kemmesies
Reisegedicht
(1526)
Endlich erblickten wir fröhlich die ragenden Thürme von Erfurt,
Wo uns das gastliche Haus freundlicher Wirthe empfang.
Sei mir gegrüßt, o Stadt, du reich vor vielen gesegnet,
Reich an Spenden des Glücks, reicher an Schmuck der Natur!
Sei mir gegrüßt, du friedliches Haus, das in heimlicher Stille
Emsigem Streben und Fleiß traulicher Zeuge mir war.
Saget, wie preis´ ich so recht aus der Fülle des dankbaren Herzens,
Was euch segnend ein Gott gnädig an Gütern verlieh?
Hast du an strömendem Wasser des Flusses gefallen, o Erfurt,
Nimmer versieget im Sand, gelbliche Gera, dein Lauf;
Oder verlangst du nach laubigen Höhen und Kühle des Waldes,
Hügel und Wiesen und Hain prangen dir lieblich im Grün.
Traun! Nicht schmachtet um dich im dürftigen Sand das Getraide;
Nein, dir strotzet die Scheu´r rings von der röthlichen Frucht.
Auch nicht Weinbau fehlt: wohl reift dir die liebliche Traube;
Wahrlich, es steht dein Gewächs fränkischem Weine nicht nach.
Dieß sind die leiblichen Gaben, womit die Natur dich gesegnet;
Höher noch preis´ ich den Schatz geistiger Güter an dir.
Denn wie weit wir die Musen vor allen Gütern verehren,
Wie der Wissenschaft Ruhm weit über andern strahlt;
So viel bist du vor Andern an Ruhm und Ehre zu preisen,
Die du so lange nun schon edelste Studien pflegst!
(Quelle: J. Classen: Jacob Micyllus. Rector zu Frankfurt und Professor zu Heidelberg von 1524–1558. Als Schulmann, Dichter und Gelehrter, FFM Verlag für Kunst und Wissenschaft 1859.)