Friedrich Leonard von Soltaus (1800–1846) Volksliedersammlungen zählen zu den bedeutendsten seiner Zeit. Unter ihnen befindet sich auch ein satirisches Lied über Erfurt, gesungen in der Weise „Wie schön leuchtet der Morgenstern" – ein eher aufheiternder Choral aus der Feder des Hamburger Pfarrers und Lieddichters Philipp Nicolai. Melodie und Text im „Erfurther Morgenstern" stehen sich diametral gegenüber, sowie der derbe Ton, der sich während des Liedverlaufs steigert und mit Entfernung des Morgensterns abnimmt.
In seiner Bedeutung ist der Morgenstern, so wie auch in Nicolais Dichtung, mit Maria und Jesus Christus gleichzusetzen. Allerdings nannte sich auch eine mittelalterliche Waffe, die ähnlich wie ein Streitkolben im Kampf eingesetzt wurde, Morgenstern – und auch Luzifer wurde als ein gefallener Morgenstern bezeichnet. Im Erfurter Morgensternlied wird auf diese Deutungsmöglichkeit angespielt. Denn es handelt von der Gottlosigkeit der Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten, die mit dem gefallenen Morgenstern assoziiert werden und denen dieses Lied wie der Aufprall eines Morgensterns gegen den Kopf vorgekommen sein müsste.
Der „Erfurther Morgenstern" ist namentlich überschrieben und mit folgender Widmung versehen:
„Der Weitberühmten Stadt Erfurth / Zurück und Irrgehender Triumph=Wagen, Mit den Verdunckelten / Morgenstern. Im Thon: Wie schön leuchtet der Morgenstern. / Gedruckt Im Jahr, Da sie in größten Nöthen war. 1664."
Das Jahr 1664 bildetet einen maßgeblichen Einschnitt in der Stadtgeschichte: Es war in jenem Jahr, als der Mainzer Kurfürst Johann Philipp von Schönborn die Reichsexekution über Erfurt verhängte und 15.000 Soldaten (davon 6.000 Franzosen) verpflichtete, die Stadt gewaltsam einzunehmen, um sie dem Mainzer Bistum zu unterwerfen. Dies hatte zur Folge, dass die Stadt ihren unabhängigen selbstverwaltenden Status verlor. Schnell breiteten sich Missstände und Missmut unter der Bevölkerung aus. Denn Soldaten nisteten sich in den Häusern von Händlern und Handwerkern ein (Kasernen gab es erst mit Boineburg als
Statthalter im 18. Jahrhundert) und begannen unzünftig zu arbeiten, was vor allem den handwerklichen Geschäften schadete; und gerade durch die Zünfte zeichnete sich Erfurt aus.
Auch und vor allem die nun angestellten Statthalter als Verwaltungsorgane taten ihr übriges: Die Zeit der Erfurter Statthalterei war geprägt von Korruption und unwegsamer Bürokratie. Und auf genau diese Umstände qua Missstände weist dieses Lied hin. Denn die Herren der Stadt, die dem Bistum zu Mainz unterstellt waren, werden hier als verlogene „Esel", heuchlerische „Papisten" und Spieler dargestellt.
Bevor Sie aber in den Genuss dieses Textes kommen, möchte ich darauf hinweisen, dass ich im Nachsatz einige Worterklärungen angebracht habe, die zum besseren Verständnis ob des derben satirischen Tons und des Zusammenhangs dienen sollen.
Anette Huber-Kemmesies
1. Wie schön leucht euch der Morgenstern,
O ihr armen Erfurther Herrn,
Sambt Euren BundtsVerwandten,
Die Sonn so Euch schön angelacht,
Die habet ihr mit Spott verlacht,
Die wird's gar höchlich anthen,
Glimpflich Glimpflich
Müst ihr bücken, euren rücken,
Stadt und Leben,
Auff discretion ergeben.
3. Ihr habt beim Tausend Schlapperment
Den Fuchsbalg grausam sehr verbrennt,
Und zwar recht in der Mitten,
Ihr habt ihn wieder zugeplezt,
Doch nebens Loch den Fleck gesezt,
Die Kapp habt ihr verschnitten,
Unglück Fallstrick
Die ihr heget und beleget,
nunmehr fellen
Euch und euren Rottgesellen.
5. Doch weil sie wollen Edel seyn,
So meczet starck mit Schwerdtern drein,
Der Strick ist vor die Bauren,
Richt sie nach ihren Schild und Helm,
Bevor den wohlbekannten Schelm,
Den müst ihr eins ablauren,
Pflegt ihn Plagt ihn
Den Rebellen und den Tollen
Daß die Raben
Sich an solchen Wildpret laben.
7. Waß habt ihr nun von euren trutz,
Ihr Rebellanten doch vor Nuz?
Ihr müst die Kaze halten,
Euch ist fürwahr gar recht geschehn,
Den´n Andern wird´s auch so ergehn,
Der Kopff steht schon in falten,
Drückt euch schmückt euch,
Last mit Igeln euch abstriegeln
und fein puzen,
Last doch eure Hörner stuzen.
9. Ist euch der Esel nun bezahlt,
Mit RosenKränzen abgemahlt,
Die er farzt aus dem Hindern?
Waß thun euch die Religion,
Die Mutter und selbst Gottessohn,
Euch Höll- und TeuffelsKindern?
Schimpfft nur Stimpfft nur
Ihr LufftFechter, Gott´sVerächter,
wie ihr wollet,
Biß euch all der Teuffel hohlet.
11. Wie schmecken euch die Tractament?
Wie liessen ab die Compliment
Damahls zu Königs Hoffen?
Viel lieber hett ihr vor Salat
Ein Storchs Nest sambt den ganzen Rath
Verzehrt dahint beym Ofen
Ha ha Sa sa
Stecht den Stahren, diesen Narren
Lacht der Fausen,
Narr´n muß man die Kolbe lausen.
2. Nach dem End habt ihr stets geziehlt,
Und untern hüttlein lang gespielt,
Man hat es wohl vernommen,
Die Karten habt ihr zwar gemischt,
Doch ist das StichBlat euch entwischt,
Wo mags wohl hin seyn kommen?
Grämmt euch schämbt euch
Daß mit glücke eure tücke
wir verkehren,
Halt, man wird euch mores lehren.
4. Den Herold habt ihr ausgeschänd,
Sein Kleid der Papisten Rock genennt,
Und ihn halb todt geschmißen,
Das Crimen laesae welch´s gesch´n
wird mancher der sichs nicht versehn,
Baargültig zahlen müßen,
Recht so Brecht so
Mit dem Stricke das Genicke
Den´n Rebellen,
Ihr ScharffRichters Zunfftgesellen.
6. Wohl dem, der seinen Hochmuth nicht,
Den Petersberg hat gleichgericht,
und Zwietracht angeleget,
Der darff nicht mit der losen Rott
erwarten nebenst Hohn und Spott,
waß mehr zu folgen pfleget,
Dick dack Fick fack
Band und Eisen, Landverweisen,
StadtRecht hegen,
Auff die Stirn den Galgen pregen.
8. Ihr Cammeraden lustig dran,
Sezt auff und spielt wer spielen kann,
Und last das glücke walten,
Hebt von den UnterBauer an,
Und stecht darauff den OberMann,
Das Feld müst ihr erhalten
Ey Sa viva
Drein gesprungen, Drein gesungen
Schwerd und Feuer,
Macht der Bursch das Lachen theuer.
10. Ihr HeringsNasen glaubt nur nicht
mit einen FußFall seys ausgericht,
es will sich mehr geziemen,
Das Diem venio das Zeugnüs ist,
eh ihr der Fürsten Hand geküst
Ihr dürfft euchs nicht berühmen,
Ey Ey Pliz Bley,
Solch´s gekostet, Ihr stehn laßet
Freund zu sagen
Man wird euch ins Bockshorn jagen.
12. Wolan wolt ihr nun wissen gern
wies steht umb euren Morgenstern,
Der vor so schön geleuchtet?
Er leucht noch immermehr von fern,
Wie Kuhtreck in der Baur´n Latern,
Die von den Safft befeuchtet,
Säfftig Kräfftig,
Soll er geben, euren Leben,
Trost und Seegen,
Braucht ihn wohl von unsertwegen.
2. Strophe:
- „mores lehren" - lat. für Anstand beibringen
3. Strophe
- „Tausend Schlapperment" - als Schimpfwort soviel wie „Tausend Teufel", aber auch ein Fäkalausdruck
- „Fuchsbalg" - Fell des Fuchses; hier wird anscheinend auf die unzünftige Arbeit der Soldaten hingewiesen
4. Strophe
- „Papisten" - Schimpfwort für Katholiken; im Zusammenhang mit dem genannten „Herold" als Bezeichnung für die Verlogenheit, denn Herolde waren an einen Ehrenkodes gebunden, der ihnen untersagte Waffengewalt anzuwenden und zu spionieren
- „Crimen laesae", eigentlich crimen laesae maiestatis - lat. für Majestätsbeleidigung; eigentlich im Zusammenhang mit der Königlichen Majestät; hier kann dieser Ausdruck aber auch als Beleidigung der Majestät Gottes gedeutet werden
7. Strophe
- „die Kaze halten" - geht wahrscheinlich auf das Sprichwort „Wenn die Katze geht, kommt der Tod" zurück; heißt also soviel, wie versuchen dem Tod zu entrinnen
9. Strophe
- „Esel" etc. - Persiflage auf die Mainzer Kurfürsten und Erzbischöfe
- „Stimpfft" - von stimpfen, stümpfen zu sticheln, schmähen
10. Strophe
- „HeringsNasen" - Spottname für die Erfurter (und Thüringer); verschiedene Quellen berichten, die Thüringer würden die Heringsnasen aufbewahren und sie ihren Familien an Festtagen zu essen geben
- „Diem venio" - lat. für der Tag, als ich gekommen
11. Strophe
- „Königs Hoffen" - Würzburger Festung; Anspielung auf Schönborns Aufenthalt während der gewaltsamen Übernahme Erfurts und den Gang der Erfurter Stadtabgeordneten mit der Bitte um Gnade während der Reichsexekution
- „Fausen" - Flausen,
- „die Kolbe lausen" - jmd. derb zurechtweisen; ihm den Kopf waschen; mit dem Kolben lausen kann auf den Morgenstern als Waffe im Kampf bezogen werden
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Lied nebst Erläuterungen gefunden in: Rudolf Hildebrandt (Hrsg.): Friedrich Leonard von Soltaus historische Volkslieder, Band 2, Verlag von Gustav Meyer Leipzig 1856.