Fast täglich benutzen wir Redewendungen. Unter ihnen gibt es jene, deren Bedeutung sich aus dem Wort erklärt. Zu diesen Redewendungen zählen zum Beispiel „keinen Finger krumm machen”, also nichts tun bzw. faul sein oder „den Täter auf frischer Tat ertappen”, ihn also bei der Untat erwischen. Und dann gibt es noch jene geflügelten Worte, bei denen sich der Sinn nicht sofort erschließt. Dennoch haben sich diese Idiome in unseren Sprachgebrauch eingeschlichen und werden als selbstverständlich hingenommen. Begibt man sich aber auf die Spuren der Redewendungen und betrachtet man sie genauer, erschließt sich einem vor allem eine Gemeinsamkeit: Sie alle entstammten aus alltäglichen Tätigkeiten und formten sich zu jenen selbstverständlichen Worten.
Vor allem in den Städten des Mittelalters entstanden die folgenden Redewendungen. Erfurt eignet sich besonders gut für eine Spurensuche dieser Redewendungen, denn die von mittelalterlichen Gebäuden geprägte Altstadt hat vieles zu bieten. Man muss nur genau hinsehen und sich ein wenig mit der Stadt- und Handelsgeschichte befassen.
→ Im heutigen Sprachgebrauch bedeutet „blau machen” so viel wie seiner Arbeit nicht nachgehen.
Der Ursprung allerdings kommt aus dem Färberwesen, das gerade in Erfurt zu den Hochzeiten des Waidhandels florierte. Da die Waidfärber die kolorierten Textilien meist Montags auf Leinen hingen, damit durch die Oxidation an der Luft die blaue Farbe entstand, hatten sie an diesem „blauen Montag” nicht viel zu tun. Sie machten also blau” – im Mittelalter allerdings im wahrsten Sinne des Wortes: heute eher im übertragenen Sinne.
„Den Braten riechen"
Wenn man einen „Braten riecht”, ist man einer Lüge auf der Spur.
Diese Redewendung haben jene Stinkreichen den Mönchen des Bettelordens zu verdanken, die sich 1224 in der heutigen Barfüßerruine niederließen. Die Erfurter Barfüßerkirche ist die älteste Ansiedelung der Bettelmönche des Franziskanerordens in Deutschland. Ihrem Gelübde folgend, in Askese von Almosen zu leben, zogen sie damals von Tür zu Tür. Natürlich war dieses Unterfangen kein leichtes und nicht selten stießen sie auf Ablehnung. Oft kam es vor, dass sie an Türen wohlhabender Waidhändler oder Biereigen klopften, um ein wenig Nahrung zu erflehen, und dabei mit der Lüge, die Gutbürger hätten selber nichts, abgewiesen wurden. Doch rochen die Mönche den Braten: manchmal schon vor der Tür, während des Gesprächs oder aber durch die Fenster der Erfurter Häuser.
Diese Redewendung sagt, dass jemand schnell verschwindet. Meist hat sie eine negative Konnotation.
Ganz und gar nicht negativ war das Kurve Kratzen im Erfurt des Mittelalters. Betrachtet man verschiedene Eckhäuser der Stadt (z. B. in der Waagegasse) fällt auf, dass einige von ihnen am Boden Ecksteine oder sogenannte Kratzsteine besitzen. Diese dienten dazu, dass die Händler sich mit ihren Wagen an diesen Steinen abstoßen konnten und so besser und schneller um die Kurve kamen ohne das Mauerwerk zu beschädigen. Diese schützende und helfende Innovation des Mittelalters war quasi notwendig, da die Handelsgassen sehr eng waren und so kratzten sie die Kurve.
Jemand ist ein „Schlitzohr", wenn er durchtrieben und hinterlistig handelt.
Wie in jeder mittelalterlichen Stadt gab es auch in Erfurt eine Vielzahl von spezialisierten Handwerkern, die sich in Zünften zusammengeschlossen hatten. Jedes Zunftmitglied war durch einen Ohrring gekennzeichnet. Innerhalb der Zunft hatte man sich auf einheitliche Preise und Qualitätsmaßstäbe geeinigt, um Konkurrenz vorzubeugen und „dumping-Preise” zu verhindern. Hielt sich ein Zunftmitglied jedoch nicht an die Regeln, so galt er als Betrüger. Kam man diesem Blender auf die Schliche, wurde er aus der Zunft ausgeschlossen und man riss ihm als Strafe den Ohrring aus und kennzeichnete sie so als Fälscher. Da solch „Schlitzohr” nun keinem ehrlichen Handwerk mehr nachgehen konnte, blieb ihm meist nichts anderes übrig, als sich als Söldner zu verdienen.
Das Wort gilt heute als ein vulgärer Ausdruck für den Vollzug des Geschlechtsverkehrs.
Doch im Mittelalter hatte das „Vögeln” einen durchaus wörtlichen Sinn. Wenn nämlich eine wohlhabende Ehefrau ihrem Liebhaber signalisieren wollte, dass der Ehemann gerade nicht zu Hause war, hängte sie einen Vogelkäfig ans Fenster. Vor allem die wohlbetuchteren Damen des Mittelalters hatten Vogelkäfige. Sah der Liebhaber dies, neigte er zu dem Ausspruch „ich geh zu den Vögeln”.
Natürlich entstanden nicht alle Redewendungen in Erfurt. Bräuche, wie jemanden als Schlitzohr zu markieren, waren in ganz Deutschland bekannt. Dennoch können anhand der Spuren in der Stadt diese Redewendung anschaulich nachvollzogen werden. Vor allem bei Stadtführungen wird gern auf diese geflügelten Worte hingewiesen.