Als eine der ältesten Pfarrkirchen wurde die Kaufmannskirche (Ecclesia Mercantorum) vermutlich im 12. Jahrhundert an der Nordseite des Angers errichtet. Geweiht wurde sie dem sagenumwobenen Gründer der Stadt, Bonifatius, dem Leib Christi und dem heiligen Gregor (ab 1368).
Auch bezüglich der letzten Weihung können laut Forschung nur Vermutungen angestellt werden: Einerseits ist es möglich, dass es sich bei dem genannten heiligen Gregor um einen der bedeutendsten Päpste, Gregor den Großen (540–604 in Rom), handelte. Wahrscheinlicher aber ist, dass eigentlich der Begleiter des Missionars Bonifatius, Gregor von Utrecht (707–775), gemeint ist.
Eine Besonderheit dieser Kirche ist ihre Doppeltürmigkeit. Dies war immer ein Hinweis auf die Gemeindegröße und Finanzkraft. Da Erfurt hauptsächlich eine Stadt des Handels und Handwerks war, ist es nicht verwunderlich, dass die Kaufmannskirche den größten Gemeindekreis hatte.
Die Kirche diente auch als Hebestelle, an der ein „Freizins″ für Grundstücke zu entrichten war. Dieser ist bedeutend für die unternehmerischen Tätigkeiten der Händler im Erfurt des 12. Jahrhunderts, denn durch die Abgabe dieses Zinses wurde dem Grundstückbesitzer freie Hand für die Bebauung, Verpachtung und Bewohnung gelassen. Sie konnten demnach relativ frei über ihr Land entscheiden; dies hatte zur Folge, dass die Stadt ein beliebter Zuzugsort wurde. Die Bezeichnung dieser monetären Abgabe sollte als „Erfurter Freizins″ in die Rechtsgeschichte eingehen.
Nach dem verheerenden Stadtbrand im Jahre 1291 musste auch die Kirche wiederaufgebaut werden. Die Arbeiten dauerten bis ins Jahr 1368. Das heutige äußere Erscheinungsbild entspricht im Wesentlichen dem gotischen Bau nach dem Feuer.
Im Innern der Kirche befinden sich Ikonographien und Kunstwerke aus der Renaissance: etwa ein Taufstein, die Kanzel oder der Altar.
1522 hielt hier Dr. Martin Luther die Predigt „vom Kreuz und Leiden eines Christenmenschen". Bereits ein Jahr nach der Predigt des Reformators wurde die Kirche zur lutherischen Reformkirche. Ein Steinkreuz an der äußeren Kirchenwand aus dem Jahre 1917 erinnert an die entscheidende Predigt.
Auch der 30jährige Krieg machte vor den Türen von Erfurts Kaufmannskirche nicht halt. Während der Besetzung durch die Schweden unter Gustav II. diente sie den schwedischen Truppen bis zu ihrem Abzug 1650 als Garnisonskirche. 18 Jahre später heirateten die Eltern Johann Sebastian Bachs in der Kaufmannskirche.
Die seitlichen Emporen der Kirche stammen aus den Jahren 1855 bis 1865, in denen die Kirche saniert wurde. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Erfurter Kaufmannskirche schwer beschädigt, worauf sich die Restaurierungs- und Renovierungsarbeiten bis 1952 hinzogen.
Die Kaufmannskirche und der Anger boten weiterhin einem großen Publikum einen öffentlichen Versammlungsraum im Zuge des 40. Geburtstags der DDR und den damit entstehenden Unruhen und Demonstrationen, die als Zeichen des Aufbruchs und Niedergangs des herrschen Regimes galten. Der Andrang war so groß, dass die Friedens- und Freiheitsgottesdienste wiederholt werden mussten.
Dass die Wahl auf die Kaufmannskirche fiel, ist wohl mit ihrem zentralen Standort zu bergründen, denn durch ihre Lage mitten in der belebten Fußgängerzone der Stadt schlägt die Kaufmannskirche einen historischen Bogen vom einstigen Zentrum der Reformation, über einen Zufluchtsort revolutionärer Kundgebungen zu einem Zentrum kulturellen Gedenkens.
Die Kaufmannskirche steht für die lange Geschichte der Stadt und ihrer Entwicklung zu einem Handels- und Handwerkszentrum und dessen Niedergang, sowie für die kulturelle Dynamik Erfurts, die sich im geschäftigen Treiben auf dem Anger widerspiegelt.
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Fotos: Tina Romstedt