Betritt man den Bahnhofsvorplatz von Erfurt, befindet sich gegenüber der Bahnhofshalle ein Gebäude, das den Erfurtern wohl immer in Erinnerung bleiben wird. Sein Baujahr kann zwar nicht genau datiert werden, aber erstmals wurde es als Bauensemble im Jahre 1872 erwähnt. Etwa 33 Jahre später begann das Bauvorhaben des bekannten Hotelkomplexes nach den Plänen Otto Marchs, der wohl durch die Entwürfe zu vielen Berliner Villen, Kirchenbauten und dem Vorläufer des Olympiastadions in Berlin-Charlottenburg bekannt geworden ist. Mit dem Anbau und der Übernahme des GmbH-Betriebes durch Georg Kossenhaschen, trug ein Teil des Komplexes auch den Namen des Eigentümers (heute noch erhalten). Den Namen „Erfurter Hof" gab man dem Hotel-, Restaurant- und Cafékomplex erst nach dem 2. Weltkrieg, den das Gebäude unbeschadet überstand, 1948. Die Witwe Kossenhaschen, die mit ihrem 2. Ehemann das Hotel führte, wurde enteignet und mit der Übernahme des Hotels durch die Handelsorganisation der DDR fanden ab 1954 ständige Umbauten statt. Das Ensemble wurde zusehend prunkvoller und wurde dem stetigen Zulauf der Gäste gerecht. Das ehemalige „Haus Kossenhaschen" gehörte nun (ab 1965) zur „Interhotel"-Kette, also zu den Hotels gehobener Klasse in der DDR. Verdienstüberschüsse wurden auf die weiteren Standardverbesserungen verwendet und so kam es am 19.03.1970 zur wohl berühmtesten Beherbergung durch den „Erfurter Hof", nämlich als Willy Brandt zum ersten deutsch-deutschen Gipfel in der DDR erschien.
Vor der Deutschen Wiedervereinigung wurde der Gebäudekomplex noch ein letztes Mal renoviert. Der Versuch, den Hotelbetrieb nach der Wende aufrecht zu erhalten, scheiterte. Und der Zustand dieses steinigen Zeitzeugen verschlechterte sich immer mehr; der einstige Glanz und Prunk des Palastcafés, der Mokka-Bar, oder des Kakteen-Cafés war nur noch eine schöne und schwache Erinnerung in den Köpfen der Bevölkerung. Es hatte sein Verfallsdatum bereits überschritten. Doch was tun mit diesem einst so glänzenden, zum Schandfleck mutierten Wrack aus Stein? Die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen beschloss, sich der Aufgabe einer Grundsanierung zu stellen. Durch weitere Sponsoren konnte das Projekt verwirklicht werden und das ehemalige Hotel erstrahlt nun von neuem Glanz.
Nur eines erinnert an längst vergangene Zeiten: Zum Gedenken an die tobende Menge, die sich gegen die Blockaden der Volkspolizei wehrten, um Willy Brandt jubelnd ans Fenster zu bitten, wurde das „Willy-Brandt-Zimmer" samt Tür und Fenster so erhalten, wie es war, nebst dem Schriftzug „Willy Brandt ans Fenster" auf dem Dach, was an das Weltereignis von 1970 erinnern soll und dadurch in den Köpfen der Menschen präsent zu bleiben vermag.
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Fotos: Anette Huber-Kemmesies