Erfurt-Lese

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Von einem Unwetter überrascht, flüchtet Jonna in die Katakomben unter dem Dom und landet im Jahr 1512. Trotz verzweifelter Suche findet sie nicht zurück und bleibt im Mittelalter gefangen.
Ihre ganze Hoffnung liegt auf der Begegnung mit dem Magier Johann Faust. Wenn er vor den Augen der Erfurter Studenten den Riesen Polyphem aus der Antike herbeiholen kann, so könnte er ihr doch auch helfen, in ihre Zeit zurück zu finden. Oder nicht?

Doktor Faust als Universitätsgelehrter

Doktor Faust als Universitätsgelehrter

Er wohnte in der Michaelsgasse, nahe dem großen Kollegium, darin er selbst Kollegia las, den Studenten den Homer erklärte und die Geister homerischer Helden ihnen vor Augen stellte und zuletzt den greulichen Riesen Polyphemus, vor dem alle erschrocken und davongelaufen.


Mit diesen Worten überliefert Ludwig Bechstein (1801–1860) in seinem Deutschen Sagenbuch die Geschichte von dem Gelehrten, der angeblich mit dem Teufel im Bunde stand. Eine andere Quelle mit unbekannten Autor schildert die Begebenheit wie folgt:

Doktor Faust stand zu Erfurt in großem Ansehen. Sooft er die Stadt aufsuchte, pflegte er auf der Hohen Schule zu lesen. So erklärte er den Studenten einmal auch den großen griechischen Dichter Homer und beschrieb ihnen die Helden seiner Dichtung in Gestalt, Gebärden und Gesicht so genau, dass die Studenten große Lust verspürten, die erwähnten Personen leibhaftig zu sehen. Auf ihre Bitte versprach Faust, ihnen in der nächsten Vorlesung die Helden persönlich vorzustellen. Die Folge davon war, daß sich das nächstemal ungewöhnlich viele Studenten im Hörsaal einfanden. Als Faust die Menge der Zuhörer sah, begann er:

„Ihr lieben Studenten, ihr seid, wie ich weiß, aufs höchste begierig, die berühmten Helden der griechischen Sage, wie sie der Dichter Homer beschrieben hat, persönlich kennenzulernen. Ich will sie euch also jetzt in der Gestalt entgegentreten lassen, in der sie vor mehr als zweitausend Jahren gelebt haben."

Kaum hatte er seine Worte beendet, so traten die Helden sogleich in ihrer seinerzeit üblichen Rüstung nacheinander in den Saal, sahen sich mit zornigen und grimmigen Augen lebhaft forschend nach allen Seiten um und verließen dann wieder den Raum. Bald darauf erschien der greuliche Riese und Menschenfresser Polyphem, der an der Stirn nur ein Auge hatte und einen langen, zottigen feuerroten Bart trug. Ein Mensch, den er noch nicht ganz verzehrt hatte, hing ihm mit dem Schenkel zum Maul heraus.

Über die Schreckenswirkung musste Faust lachen, und er ängstigte die Studenten noch dadurch, daß Polyphem nicht wieder zur Tür hinaus wollte, sondern sich mit seinem schrecklichen Gesicht umsah und die Hände ausbreitete, als ob er nach etlichen greifen und noch mehr Menschen verschlingen wolle. Der Riese trug auch einen ungeheuren Spieß, groß wie ein Weberbaum, den stieß er wider den Erdboden, daß der ganze Saal erschüttert wurde. Faust aber winkte ihm mit dem Finger, da trat er hinaus, und damit beschloß der Doktor seine Vorlesung.

Die Studenten aber waren mehr als zufrieden, hatten sie doch Grässliches genug gesehen, und verlangten von Doktor Faust nie mehr eine solche Erscheinung.

* * *

In zwei ihrer Werke hat die Erfurter Autorin Ingrid Annel die alten Sagen aufgegriffen und der Figur Johann Fausts neues Leben eigehaucht. Beide Titel sind im Bertuch Verlag Weimar erschienen.

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