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Ausstellung im Schloss Ettersburg
Weimarer Galerie

Unter dem Motto "Licht und Schatten" fanden sich im Frühjahr sechs Künstler der virtuellen Dauerausstellung "Weimarer Galerie" (http://www.weimarer-galerie.com/) zu der dritten Präsensausstellung des Projektes im Schloss Ettersburg zusammen. Der Katalog zeigt die ausgestellten Werke und gibt einen Einblick in die Vielseitigkeit der von den Künstlern gefertigen Kunstwerke. 

Gedicht anlässlich des verheerenden Brandes 1736

Gedicht anlässlich des verheerenden Brandes 1736

Sidonia Hedwig Zäunemann

Es war ein stürmischer Herbsttag, der 21. Oktober 1736, als plötzlich im Kern der Stadt ein Feuer ausbrach, das sich in Windeseile ausbreitete. Die Bürger waren machtlos. Zwischen Dom, Rathaus und Predigerkirchhof brannten damals knapp zweihundert Wohnhäuser aus. Auch die Martinskirche, die Paulskirche sowie die Martinsmühle wurden vom Feuer erfasst und zerstört. Der Schaden, so berichtet die Stadtchronik, belief sich auf 147.150 Taler. Die Erfurter Dichterin Sidonia Hedwig Zäunemann hat die Katastrophe in Versen festgehalten.

Anette Huber-Kemmesies

Das unter Gluth und Flammen ächzende Erfurt

(1) O! Was erhebt sich vor ein Sturm!
Wie braußt der Wind in unsern Gassen!
Dort wankt ein hochgespitzter Thurm,
Den hunderttausend Wirbel fassen.
Hier kracht ein schwach und mürbes Haus;
Sein Grimm bricht Kalch und Ziegel aus;
Er pfeift durch Gärten und Gebäude.
Entstünd ein Feuer ohngefehr,
Wo nähmen wir jetzt Rettung her;
Wie schlecht wär unsre Sabbaths-Freude!

 

(3) Das Schrecken häuft sich, da der Knall
Der Stücke durch die Ohren dringet.
O welch ein höchst etrübter Schall!
Der Groß und Klein zum Seufzen zwinget.
Hällt den ihr Donnern gar nicht ein?
Soll dieß des Land-Volks Losung seyn?
Ach ja! es muß zu Hülfe eilen.
Wie heftig steigt der Rauch empor!
Wie grausam bricht die Gluth hervor!
Man sieht den Schein auf viele Meilen.

 

(5) Umsonst! der Höchste hört nicht drauf;
Sein Grimm kömmt über uns gezogen.
Er läßt dem Feuer freyen Lauf,
Indem sehr viel schon aufgeflogen.
Der Wind tobt fort, und bläßt und saußt,
Vermehrt die Flammen, stürmt und braußt,
Und droht ein allgemein Verderben.
Was Wunder, wenn wir trostloß stehn;
Was Wunder? wenn wir traurig gehn,
Und fast vor Furcht und Schrecken sterben.

 

(7) Reißt Frauenzimmer! reißt die Pracht
Von Achseln, Haupt und Schlaf herunter!
Kommt gebt auf eure Freunde acht,
Und seyd zum Räumen frisch und munter.
Was denkt ihr jetzt an Feyer-Kleid,
Jetzt da das Feuer Funken speyt,
Und seinen rothen Rachen weiset.
Auf! säumet nicht! helft, wo ihr könnt,
So lang die Gluth euch Zeit vergönnt,
Damit man eure Großmuth preiset.

 

(9) Jetzt steigt ein Regenbogen auf;
O! wäre dieß ein Gnaden-Zeichen!
Vieleicht sieht Gottes Auge drauf,
Und läßt sein Vater-Herz erweichen.
Doch nein! der Sturm bläßt immer mehr;
Er heult und brüllt und wüthet sehr,
Und blendet durch den Rauch die Augen.
Man weiß fast nicht wohin man sieht;
Der heise Dampf, der seitwerts zieht,
Beißt schmerzlicher als scharfe Laugen.

 

(11) Der Himmel zeigt uns noch einmahl
Den buntgefärbten Regenbogen.
Allein er mindert nicht die Quaal,
Die Gluth kömmt stärker hergezogen.
Der Rauch benimmt der Sonnen-Blick,
Die Luft wird dampfigt, schwarz und dick,
Dort fliegen angeflammte Kohlen;
Sie drehen sich mit Ungestümm,
O Jammer! ihr erhitzter Grimm
Entzündet auch die stärcksten Bohlen.

 

(13) Man sieht, wie sich die Spitzen drehn,
Wie scharf sie mit den Flammen fechten;
Sie geben zischend zu verstehn,
Wie gern sie uns erretten möchten.
Allein umsonst! mir fällt der Muth;
Kein Wasser tilgt die wilde Gluth.
O! könnt man sie mit Thränen zwingen!
Ich weiß, sie wär schon längst gesrillt,
Denn was aus unsern Augen quillt,
Wär stark genug sie zu verdringen.

 

(15) Das Volk läuft in der Stadt herum
Gleich wie die Schafe ohne Hirten.
Es fällt vor Mattigkeit fast um;
Wer will die Hungrigen bewirthen?
Das arme Vieh heult jämmerlich;
Es schmachtet wo verbirgt es sich?
Damit es nicht im Feuer sterbe;
Es schreyt und fleht den Höchsten an,
So, wies zu Ninive gethan,
Auf daß es nicht mit uns verderbe.

 

(17) O Vater-Auge! sieh doch drein!
Erbarme dich, und wehr dem Feuer!
Denk, daß wir dein Geschöpfe seyn!
Komm! dämpfe dieses Ungeheuer.
Das Unglück hat noch keine Ruh!
Mein Gott: die Gassen fallen zu,
Da heißt es: rettet euer Leben!
Laßt Eymer und auch Spritzen stehn,
Dort will sich schon ein Balken drehn
Und euch den Rest im Fallen geben.

 

(19) Was dort der muntre Handwerks-Mann
In weit entlegne Häuser schaffet,
Das greift nunmehr das Feuer an;
Es wird fast gänzlich weggeraffet.
O Schmerz! Die Flamme wüthet fort;
Bald brennt es hier; bald yündt es dort;
Man ist in keiner Strasse sicher.
Wie kan das Elend grösser seyn?
Die Gluth dringt in die Keller ein,
Und raubet Silber, Schmuck und Tücher.

 

(21) Betrübte Mutter! weine nicht!
Wir wollen unserm Gott vertrauen,
Der uns so vieles Heyl verspricht;
Wir werden seine Hülfe schauen.
Je mehr uns die Gefahr bedroht;
Je mehr und grösser unsre Noth,
Je näher ist der Schutz von oben.
Wer weis, was Gott in seinem Rath
Noch über uns beschlossen hat?
Mich dünkt; der Wind hört auf zu toben.

 

(23) Der Himmel wird von Wolken dick:
Ach! wenn doch jetzt ein Regen käme!
O! wenn das Göttliche Geschick
Dem Feuer seine Macht benähme
Jedoch vergeblich hoft das Herz;
Die Flamme dauret wie der Schmerz;
Sie höret noch nicht auf zu wüthen:
Das Volk gießt immer sonder Ruh
Das Wasser auf die Dächer zu,
Um weiters Unglück zu verhüten.

 

(25) Die, so der Tod bereits gesucht,
Die müssen zu der Freude Grämen,
Durch Tragen ihre schnelle Flucht
In wohlverwahrte Keller nehmen.
Der Säugling fühlt der Mutter Noth,
So ihm bald drauf zu würgen droht,
Und muß mit vielem Jammer sterben.
Das Schrecken mehrt der Krankheit Schmerz,
So greift Morbona an das Herz,
Und weiß das Leben zu verderben.

 

(27) Die Glocken und Canonen sind
Fast müde ihren Thon zu geben.
Die Nacht ist hin; allein man findt
Die Stadt in grosser Noth noch schweben.
Doch unverzagt! Die Gluth vergeht,
Dieweil der Höchste bey uns steht;
Er ruft: Es ist genug mit Schlagen!
Gott schonet unser, wie vor dem
Der grossen Stadt Jerusalem,
Sein Engel soll uns nicht mehr plagen.

 

(29) Sucht eure Stätte nur noch nicht,
Nein, sondern sucht zuerst die Gassen,
Der Schutt betrüget das Gesicht;
Sie werden sich kaum finden lassen.
Hier ist ja lauter Wüsteney;
Der Berge sind so vielerley;
Wer will euch eure Wohnung zeigen?
Man geht jetzt nicht durch Strassen hin;
Man muß mit tiefgebeugtem Sinn
Nur über Feuer-Hügel steigen.

 

 

(2) O weh uns! kaum gedenk ich dran,
So hör ich Feuer! Feuer! schreyen.
Die Funken steigen Himmel an,
Und scheinen uns den Tod zu dräuen.
Die ganze Stadt erschrickt und bebt,
Und was in unsern Mauren lebt,
Erzittert, läuft und eilt zum Retten.
Der stark und ungeheure Wind
Treibt Gluth und Flammen so geschwind,
Als ob sie güldne Flügel hätten.

 

(4) Der Stücke Blitz; der Trommeln Klang;
Der Glocken fürchterliches Heulen
Verhindert Andacht und Gesang;
Die Noth verstattet kein Verweilen.
Man denkt an keine Predigt mehr.
Die Gottes-Häuser werden leer;
Ein jeder fürchtet Gluth und Flammen.
Man schaut den Himmel thränend an,
Und schlägt, weil Gott nur helfen kan,
Die Hände Wehmuths-voll zusammen.

 

(6) Dort trägt mit Seufzen, Ach und Weh
Ein armes Weib ein Bündel Betten,
Und hält es zitternd in die Höh,
Um dieß noch vor der Gluth zu retten.
Hier läuft ein hochbetagter Mann,
Trägt, was er sonst kaum heben kan,
Und suchts in Sicherheit zu bringen.
Da führt und schleift man Kaufmanns-Guth,
Man eilt es möchte sonst die Gluth
Die Waaren allesamt verschlingen.

 

(8) Das ungeheure Element
Sucht seine Flügel auszubreiten.
Es raßt und tobt, und frißt behend,
Und lodert schon auf allen Seiten,
Der Sturm bläßt heftig in die Gluth,
Und mehret dadurch ihre Wuth,
Und unterhält die tollen Flammen.
Hier sind, wie ist mir doch so bang,
Zu unsers Erfurts Untergang
Zwey Feinde unzertrennt beysammen.

 

(10) Vor Schrecken kreyset dort ein Weib,
Und muß ihr Kind in Thränen baden.
Hier trägt man einen siechen Leib,
Damit ihn nicht die Flammen schaden.
Wenn jetzt die arme Geren-Stadt
Den Höchsten nicht zum Helfer hat,
So muß sie gänzlich untergehen.
Wofern er nicht dem Wind gebeut,
Dem Feuer wehrt, dem Funken dräut,
So bleibt kein einzig Wohnhaus stehen.

 

(12) Hier stürzt ein lodernd Dach herab;
Dort knackt und prasselt ein Gebäude,
Und findet bald ein rothes Grab
Zu des Besitzers größten Leide.
Die Gluth verschont kein steinern Haus,
Sie brennt die schönsten Zimmer aus;
Die stärcksten Mauren müssen springen.
So plözlich kan die schnelle Gluth
Haus, Bücher, Früchte, Hab und Guth,
Eh man es noch vermeint, verschlingen.

 

(14) Ihr Nachtbarn! die ihr jetzt den Knall
Der schmetternden Canonen höret,
Gedenkt nur nicht, daß dieser Schall
Ein hohes Haupt zur Lust verehret.
O nein! dieß brüllende Geschrey
Ruft euch zur Hülf und Rettung bey,
Indem wir mit den Flammen streiten.
Ach eilt! mich deucht, der bange Thon
Der Glocken will anjetzo schon
Der schönen Stadt zu Grabe läuten.

 

(16) Kein Priester, ja kein Jonas mag
Die Herzen so zur Busse lenken;
Als diese Gluth am Sabbath-Tag;
Wer wolte nicht an Gott gedenken?
Jetzt bricht die Langmuth und Gedult;
Jetzt straft der Höchste unsre Schuld;
Sein Zorn entbrennt an diesem Tage;
Sein Arm schlägt heftig auf uns loß;
Die Sabbaths-Sünden sind zu groß;
Wie wohl verdienen wir die Plage!

 

(18) Das Erzt der Glocken zischt mit Macht,
Es schmelzt und spritzet in die Flammen;
Die Thürme sincken; hört! es kracht!
Der Tempel fält verbrant zusammen.
Noch mehr: das Predger Gottes-Haus
Steht viel Gefahr vom Feuer aus;
O möcht es doch der Himmel stützen!
Ja! ja hier hält die Flamme still!
Getrost! was Gott erhalten will,
Das weiß er kräftig zu beschützen.

 

(20) Wer hilft mir? werd ich nicht erhöhrt!
Ihr Eltern! seht! wir sind verlohren.
Die Flamme, die dort aufwerts fährt,
Hat uns den Untergang geschworen.
Das Haus, so einst zur Asche ward,
Steht in Gefahr und leidet hart,
Und soll von neuen wüste werden.
Der Garten raucht, ach! widersteht!
Hier liegt das Feuer wie gesät;
Die Kräuter brennen auf der Erden.

 

(22) Gedacht, gewünscht, gehoft, geglaubt,
Der Herr hat uns bereits erhöret,
So, daß sich nun mein Herz und Haupt
Mit Lob und Dank zum Himmel kehret,
Gleich, da fast aller Trost verschwind,
Gebeut der Herr dem starken Wind,
Und setzet ihm gemeßne Gränzen;
Vielleicht sieht auch die Allmacht drein.
Und hüllet Gluth und Flammen ein,
Die noch am Firmamente glänzen.

 

(24) Hier fällt und tödtet Kalch und Stein,
Und zwingt den Geist davon zu scheiden.
Da frißt die Flamme Fleisch und Bein:
So stirbt man mit dem größten Leiden!
Die sanfte Gere wird gestemmt;
Wodurch wird dann ihr Lauf gehemmt?
Durch Kisten, Kasten, Betten, Fässer.
Das, was kein Haus, kein Markt und Mann
Vor Gluth und Funken retten kan;
Das schützt noch endlich das Gewässer.

 

(26) Der Abend kömmt betrübt herbey;
Die Sonne geht ganz traurig unter,
Allein das Feuer herrscht noch frey;
Das matte Volk bleibt gleichfals munter.
Das Stücke wiederhohlt den Knall;
O mehr als fürchterlicher Schall!
O strenges Nacht-Lied, so wir hören.
Auch Schreckens-voller Morgen-Gruß,
Der uns zugleich erinnern muß
Die Augen nach dem Brand zu kehren.

 

(28) Kommt! schaut die Aschen-Hauffen an,
Die gleich den Ziegel-Oefen rauchen.
Man sieht, so weit man sehen kan,
Die Gluth verdeckt und dampfend schmauchen.
O heises Grabmaal einer Stadt,
Die Gott so scharf gezüchtget hat!
Hier überfällt mich Furcht und Grauen.
O soll ich dich mein Ger-Athen
In solchem Jammer-Stande sehn!
Und deine Bürger weinend schauen.

 

(30) Der Höchste schlug; er wird sich auch
Der elend- und betrübten Armen
Nach seinem väterlichen Brauch,
Nach seiner Huld und Gnad erbarmen.
Wer aber davon hört und spricht,
Verdamme ja und richte nicht,
Und untersuche sein Gewissen.
Denn so ihr jetzt nicht Busse thut,
So werdet ihr durch Sturm und Gluth
Auf gleiche Art verderben müssen.

 

 

***

Teaserforto:  Esther Stosch  / pixelio.de

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